Science-Texts

Aktuelle Seite: Home > News > Übersetzer als Urheber: Theorie und Praxis

Übersetzer als Urheber: Theorie und Praxis

Artikel aus Heft 01-11 (April 2011) der TransRelations, Zeitschrift des BDÜ Landesverbandes Bremen und Niedersachsen e. V., S. 10-11 (Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Herausgeber)

Im Oktober 2010 erging am Hamburger Landgericht ein wichtiges Urteil: Der Autor Christian Jungblut hatte gegen den Verlag des Magazins GEO geklagt, weil dessen Redaktion einen seiner Texte massiv redigiert und gegen seinen Willen in der umgeschrieben Fassung veröffentlicht hatte. Damit hat der Verlag, so das Gericht, gegen das Urheberpersönlichkeitsrecht verstoßen.[1] In einigen Medienblogs wurde das Urteil ausführlich gewürdigt,[2] aber unter den Urheberverbänden haben meines Wissens nur der Verband der freien Lektorinnen und Lektoren und die Freischreiber (Berufsverband freier Journalistinnen und Journalisten) reagiert.[3] Von den beiden großen Journalistengewerkschaften, vom Verband deutscher Schriftsteller und vom Literaturübersetzerverband VdÜ finde ich im Netz keine Stellungnahmen.


Dabei schützt das Urheberpersönlichkeitsrecht auch viele Übersetzerinnen und Übersetzer – nämlich immer dann, wenn ihre Texte gemäß §2 UrhG Sprachwerke darstellen. §3 führt aus: „Übersetzungen und andere Bearbeitungen eines Werkes, die persönliche geistige Schöpfungen des Bearbeiters sind, werden unbeschadet des Urheberrechts am bearbeiteten Werk wie selbständige Werke geschützt.“ Dann hat der Urheber nach §14 Urhebergesetz „das Recht, eine Entstellung oder eine andere Beeinträchtigung seines Werkes zu verbieten“ – und, für Literaturübersetzer besonders wichtig, das Recht auf Namensnennung (§13: Anerkennung der Urheberschaft).

Auf den Gestaltungsspielraum kommt es an

Übersetzer gelten als Urheber, wenn ihre Werke die nötige Schöpfungshöhe erreichen: wenn sie beim Formulieren einen deutlichen Gestaltungsspielraum haben. Fachübersetzern wird dieser Gestaltungsspielraum durch ein obiter dictum [4] des Bundessozialgerichts pauschal abgesprochen, was beispielsweise zur Folge hat, dass sie nicht in die Künstlersozialkasse aufgenommen werden – ein Ärgernis für alle, die aus eigener Praxis wissen, wie groß die Freiheiten beim Formulieren tatsächlich sind. (Wäre es anders, so hätten sich automatische Übersetzungen in vielen Bereichen längst durchgesetzt.)

Dass Übersetzungen hochliterarischer Werke wiederum Werke und ihre Übersetzer somit Urheber sind, liegt auf der Hand. Weniger bekannt ist, dass auch Übersetzer von Sachbüchern und von Unterhaltungs- bzw. Trivialliteratur als Urheber gelten und folglich ein Recht auf Namensnennung, auf Erfolgsbeteiligung, auf Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse, auf Abschluss eines Wahrnehmungsvertrags mit der Verwertungsgesellschaft Wort und eben auch auf das Verbot von Entstellungen ihrer Texte haben. Doch was heißt das in der Praxis?

Probleme …

Nicht nur für Atomkraftwerke gilt: Was schief gehen kann, geht früher oder später schief. Ein falscher Mausklick, und der Übersetzername fliegt kurz vor Drucklegung aus dem Impressum. Aus „Kamphuis“ wird „Kamphius“, und schon bin ich für die KSK, die VG Wort, Suchmaschinen, Rezensenten und potenzielle Kunden nicht mehr auffindbar. Ein Text, den ich übersetzt habe, wird versehentlich einer Kollegin zugeordnet – oder umgekehrt. Wegen eines internationalen Einheitslayouts muss mein Text gekürzt werden – leider vom Praktikanten in der Herstellungsabteilung. Oder eben das, was Jungblut widerfahren ist: Jemand redigiert oder korrigiert meine Übersetzung, schießt dabei übers Ziel hinaus, baut womöglich schwere faktische Fehler ein – und der Text geht aus Zeitnot gleich in Druck, ohne dass ich ihn noch einmal zu Gesicht bekomme.

Auch nach Erscheinen eines Buches kann mein Recht durch Pannen oder schlechte Angewohnheiten weiter mit Füßen getreten werden: In einer Zeitschrift erscheint ein Vorabdruck, auf einer Internetplattform ein Feature. Alles wird genannt: Autor, Verlag, Ladenpreis, ISBN usw. – nur mein Name nicht. Ein Hörbuch wird produziert: Der Schauspieler, der wenige Tage vorm Mikrofon steht, wird in der Werbung groß herausgestellt – aber mit wessen eleganten, scharfsinnigen, zum Brüllen komischen Formulierungen er da glänzt, erfahren die Käufer nicht. Das Buch wird im Feuilleton ausführlich besprochen, sein Stil gelobt – aber für die eine Zeile, in der mein Name stehen könnte, war angeblich kein Platz mehr. Der Verlag meldet den Titel an Amazon – doch die Datenbank muss einen Webfehler haben: Der Übersetzername wird mal wieder nicht übernommen.

… und Lösungen

Um die angemessene Reaktion auf Pannen und Verstöße zu ermitteln, gilt es die Lage nüchtern zu analysieren, nachdem der erste Ärger verraucht ist. In schweren Fällen wie einer unterlassenen oder falschen Namensnennung in einem Werk, an dem man Monate oder Jahre gearbeitet hat und das für die eigene Reputation von großer Bedeutung ist, lohnt sich die Einschaltung eines Anwalts, der zunächst außergerichtlich und notfalls auf dem Klagewege die Behebung des Missstands und eine angemessene Entschädigung erwirken kann. Allerdings riskiert man damit, einen Auftraggeber zu verlieren.

Das andere Extrem ist die Nichtreaktion, das stillschweigende Einverständnis: Wenn ein „Fließbandtext“, den ich unter Zeitdruck übersetzt habe und für den mir ohnehin kein Feuilletonist je einen Lorbeerkranz flechten würde, auf einmal Formulierungen enthält, die nicht aus meiner Feder stammen – sei’s drum. Auf einer Änderung des Workflows zu beharren, damit ich künftig alle Texte nach dem Lektorat noch einmal gründlich durchsehen kann, schadet mir nur: Entweder katapultiere ich mich damit aus dem Pool der willigen freien Mitarbeiter, oder ich setze mich durch und drücke meinen effektiven Stundensatz durch den zusätzlichen Arbeitsgang endgültig in den Keller.

Freundlich, aber bestimmt auf einer Korrektur oder Nachnennung des falsch geschriebenen, nicht genannten oder nicht korrekt übermittelten Namens zu bestehen, ist oft der geeignete Weg, um den Schaden für die eigene Reputation zu minimieren, ohne einen wichtigen Kunden einzubüßen. Und je enger der Kontakt, je länger und vertrauensvoller die Zusammenarbeit mit einem Lektor oder einer Lektorin – ob nun im Hause oder frei –, desto leichter lassen sich Meinungsverschiedenheiten bezüglich der angemessenen Eingriffstiefe beim Redigieren ansprechen und künftig vermeiden. Manchmal gilt es auch Lücken in der Ausbildung des Lektors zu schließen: So mancher ist sich zu Beginn seiner Berufstätigkeit nicht bewusst, dass Literaturübersetzer Urheber sind und ihre Texte nach dem Lektorat noch einmal zu Gesicht bekommen sollten. (Selbst Basiswissen wie die Normseitendefinition wird ja offenbar kaum noch gelehrt.)

Wie immer im Leben hilft auch Solidarität: Ein Leserbrief zu einer Rezension ohne Übersetzernennung ist schnell verfasst, vor allem, wenn man die nötigen Textbausteine parat hat. In der Mailingliste des VdÜ machen die Kolleginnen und Kollegen einander auf solche Verfehlungen im Feuilleton aufmerksam; in gravierenden Fällen resultiert daraus eine konzertierte Anschreibeaktion. Modernere und drastischere Mittel wie ein veritabler shitstorm im Web 2.0 müssen in der Branche noch eingeübt werden.

Die andere Seite

Nützlich ist auch ein Wechsel der Perspektive: Wer selbst gelegentlich Übersetzungen redigiert, gewinnt neue Einblicke in die Arbeitsabläufe und (vermeintlichen) Sachzwänge in Verlagen – und auch in die dürftige Qualität vieler Übersetzungen, die auf die Dauer zur Abstumpfung und Verrohung der Sitten im Lektorat führen kann. Dennoch muss das Argument des GEO-Chefredakteurs, das Vorgehen der Redaktion im Fall Jungblut sei durch die starke Überarbeitungsbedürftigkeit der Texte gerechtfertigt gewesen, scharf zurückgewiesen werden: Wenn jemand wirklich so schlecht arbeitet, sollte man ihn schlicht nicht mehr beauftragen, statt seine Rechte als Urheber mit Füßen zu treten.

Zum Abschluss sei an George Steiner erinnert, der im fünften Kapitel seines Werkes „Nach Babel“ (Suhrkamp, 1994) den hermeneutischen Prozess des Übersetzens untersucht und uns vergegenwärtigt, dass dieser stets mit tiefen Eingriffen in das Werk des Autors einhergeht: Steiner zufolge schließen sich an die Phase des Vertrauens eine Phase der Aggression und eine Phase der Einverleibung des Textes an, bevor der Übersetzer – wenn alles gut geht – den Ausgleich schafft. Nicht immer gelingt es uns, das Gleichgewicht wieder herzustellen und uns selbst so weit zurückzunehmen, dass aus unserer Übersetzung in erster Linie der Autor zum Leser spricht. Ähnliche Missgeschicke unterlaufen auch unseren Lektorinnen und Lektoren. Niedrige Honorare und ein immenser Zeitdruck sind mit dafür verantwortlich, dass sowohl wir als auch sie Steiners Phase vier oft nicht erreichen, sondern im Stadium der Aggression oder der Einverleibung stecken bleiben – und damit den jeweiligen Urheber nicht zu seinem vollen Recht kommen lassen.

Dr. Andrea Kamphuis
Übersetzerin (Englisch, NL -> D), Autorin und Lektorin
Köln



[1] Az 308 O 78/10. Das Urteil im Volltext: http://www.telemedicus.info/urteile/Urheberrecht/1130-LG-Hamburg-Az-308-O-7810-Urheberrechtliche-Zulaessigkeit-von-redaktionellen-Textaenderungen.html

[2] http://www.stefan-niggemeier.de/blog/gericht-erklaert-geo-autoren-haben-rechte/, http://www.magda.de/76/back/26/artikel/die-handschrift-des-reporters/,

[3] http://vfll.de/pages/aktuelles/aktuelles.php, http://www.freischreiber.de/home/christian-jungblut-was-dem-einen-seine-eule-ist-dem-anderen-seine-nachtigall

[4] eine im Rahmen eines Urteils nebenbei geäußerte Rechtsansicht, die die künftige Rechtsprechung beeinflussen kann