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Cologne Commons: Urheberrecht 2.0 oder 1.3?

"Der dritte Korb: Reform oder Reförmchen?" – So lautete die Abschlussfrage, die Moderator Joachim Losehand dem gut und vielseitig besetzten Panel am Ende der diesjährigen Cologne Commons stellte. Um es vorwegzunehmen: Die Antworten fielen erwartungsgemäß ganz unterschiedlich aus.

Cologne Commons, Abschlusspanel

Lars Sobiraj, Timo Ehmann, Christian Heinke, Harald Müller, Stephan Benn, Evrim Sen, Joachim Losehand

Der Nachmittag des zweiten Tages der "Konferenz für digitale Kultur", die der Journalist Moritz "mo." Sauer mitorganisiert und moderiert hat, war dem Themenkreis geistiges Eigentum gewidmet. "Be shareful", lautete das Motto der Veranstaltung. Welche rechtlichen Risiken mit einer solchen Bereitschaft zum Teilen einhergehen können, erläuterte Martin Butz, Mitinitiator der "art 2.0, Initiative zum digitalen Wandel", in seiner Präsentation "Good Copy, Bad Copy. Vom kreativen Zweifel an immateriellen Eigentumsrechten" – und zwar mit Hilfe von YouTube-Videos, in denen Originale und plagiierte Musikstücke, aber auch private Filme mit mehr oder weniger zufälliger Hintergrundmusik oder künstlerische Zitate und Verfremdungen zu hören und zu sehen waren.

In dieser Aufzählung durfte natürlich der Fall "Metall auf Metall" (Kraftwerk/Moses Pelham; BGH-Urteil vom 20.11.2008, Aktenzeichen I ZR 112/06) ebenso wenig fehlen wie das Video von Stephanie Lenz, auf dem ihr 13 Monate alter Sohn zu dem Prince-Stück "Let's Go Crazy" tanzt, was Universal Music, den Inhaber der Rechte an diesem Stück, zu massiven Drohgesten veranlasste und dazu führte, dass der Verfassungsrechtler und Urheberrechtsaktivist Lawrence Lessig den Fall aufgriff.

Cologne Commons, Vortrag über Plagiate

Martin Butz

Spätestens an dieser Stelle bekam der Kameramann, der die Vorträge für eine geplante Dokumentation auf der Cologne-Commons-Website mitfilmte, ernste Probleme: Selbst die Dokumentation einer Veranstaltung, auf der anhand bekannter Beispiele über die Grenzen zwischen Plagiaten und "fair use", Zitaten, Pastichen usw. diskutiert wird, verletzt nach strenger Auslegung etliche Copyrights bzw. Urheberrechte und kann, wenn die Rechteinhaber sich stur stellen, entweder verhindert werden oder zum Ruin führen. Dass den Rechteinhabern durch diese Form der Dokumentation keinerlei Einnahmen entgehen, da die Musik hier nicht dem Kunstgenuss dient, spielt bei der rechtlichen Einschätzung häufig keine Rolle. Ähnliche Probleme ergeben sich auch in der Literatur, der Wissenschaft, der Fotografie und anderen kulturellen und kommunikativen Lebensäußerungen. Durch die wiederholte Verlängerung der Schutzfristen in aller Welt, die teilweise erkennbar den Interessen einzelner Verwerter dienen (Copyright Term Extension Act, auch bekannt als Mickey Mouse Protection Act, USA 1998), durch die Globalisierung und durch die Einziehung immer neuer Schutzebenen verschärft sich diese Problematik. Butz stellt diesem Overkill die These entgegen, dass Kreativität und Gewinn auch ohne Copyright möglich seien.

Im zweiten Block des Nachmittags unterhielt Moderator mo. Sauer sich mit dem Verlagsberater Leander Wattig und dem Redakteur Jan Tißler über die Zukunft des Buches: "Gutenbergpresse Goodbye, eReader ahoi!?!" Auf die herumgereichten Anschauungsobjekte, ein Kindle und ein iPad, gehe ich nicht weiter ein – zumal da ich bereits fünf Wochen zuvor auf dem BuchCamp mit einem iPad herumspielen konnte. Leander Wattig erklärte anhand des gerade beim Kölner O'Reilly-Verlag erschienenen Facebook-Buches von Annette Schwindt, wie Blogs, soziale Netzwerke und Papierbücher sich heute und in Zukunft ergänzen können, statt sich zu kannibalisieren – allerdings nur, wenn die Verlage sich an die Gepflogenheiten der digitalen Welt anpassen, wie O'Reilly es hier getan hat: Die Autorin hat sich das Recht ausbedungen, ihr E-Book weiterhin zu aktualisieren und im Netz zum Download anzubieten. Auch durch verschlankte, beschleunigte Workflows und Innovationen in der Druckindustrie werden Buchinhalte laut Wattig immer fließender; zwischen den letzten Aktualisierungen seitens der Autorin und der Auslieferung lagen beim Facebook-Buch nur fünf Wochen.

Cologne Commons, Gespräch über E-Books

mo. Sauer, Leander Wattig, Jan Tißler

Jan Tißler arbeitet als Redakteur bei einer Zeitschrift, die es eigentlich gar nicht geben dürfte: einem gedruckten Internetmagazin mit dreimonatigem Erscheinungsturnus. Erstaunlicherweise geht das Konzept von t3n auf: Mit seinen 160 Seiten geht das Heft schon in Richtung eines Kompendiums, und da man bei einem 3-Monats-Turnus ohnehin nicht aktuell sein kann (dafür gibt es die Website), haben die Artikel eher Review- oder Tutorial-Charakter. Tißler ist mit seinem iPad hoch zufrieden und erwartet, dass in Kürze ähnliche, weiter ausgereifte und vor allem offenere Produkte von anderen Firmen auf den Markt kommen, die für Buch- und Zeitschriftenverlage wichtig werden.

Die abschließende Diskussion über die Urheberrechtsreform wurde vom Portal und Forum gulli.com organisiert, das dem Chefredakteur Lars Sobiraj zufolge "so ziemlich die böseste Raubkopiererhöhle" ist, und kam gerade zur rechten Zeit, nämlich zwei Tage von der mit Spannung erwarteten Rede der Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger zu der Frage, ob und wie das Ur­he­ber­recht auf die di­gi­ta­le Re­vo­lu­ti­on re­agie­ren muss. Der Althistoriker und Religionswissenschaftler Joachim Losehand, der über die Behinderung seiner wissenschaftlichen Arbeit durch die letzte Urheberrechtsnovelle (2. Korb, 2008) zum Urheberrechtsreform-Aktivisten wurde, befragte zusammen mit Sobiraj fünf Gäste. (Gibt es wirklich keine Frauen, die sich mit den Themen der Konferenz auskennen?)

Timo Ehmann ist Jurist, Mitgründer der Juristen-Community und -Suchmaschine jusmeum und als Absolvent des Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht Experte für Urheber- und Leistungsschutzrecht; er setzt sich für eine Verbesserung des Zugangs zu wissenschaftlichen Informationen ein. Er sieht das Urheberrecht (auch) als Instrument der Marktregulierung, das bislang die Interessen der Verwerter, beispielsweise der juristischen, geistes- und naturwissenschaftlichen Fachverlage, stärker berücksichtige als die der Nutzer, und plädiert daher für einen besseren Interessensausgleich. Dabei sollten seines Erachtens auch Verbraucherinteressen eine Rolle spielen; aus der Bezeichnung Urheberrecht abzuleiten, dass hier ausschließlich die Schutzrechte der Urheber geregelt würden, sei falsch: Schon die vorhandenen Schrankenregelungen sprächen dagegen. Aufgabe der Juristen sei es letztlich, das Rechtsgefühl der Bevölkerung in praktikable und stimmige Gesetze zu fassen, und nicht, die halbe Bevölkerung zu kriminalisieren. In Deutschland stehe ihnen dabei allerdings gelegentlich das alte naturrechtliche Rechtskonzept im Wege, das einen Automatismus von der Schaffung eines Werkes über die Verteidigung der daraus resultierenden geistigen Eigentumsrechte zur Ahndung von Verstößen nahelege. Die eingangs erwähnte Frage Losehands beantwortete er mit "Reförmchen"; die FDP habe sich netzpolitisch bislang noch nicht klar positioniert. Gegenüber einem völlig neuen Urheberrecht 2.0 würde er ein Urheberrecht 1.3 bevorzugen, da das derzeitige Recht im Kern, wenn man es von schädlichen Komplikationen bereinige, gut sei.

Christian Heinke ist Autor und hat einen Roman zunächst im Internet veröffentlicht, bevor das gedruckte Buch folgte. Er freut sich, wenn seine Texte "geklaut" werden, denn dadurch kann er seine Bekanntheit steigern, sodass auch gute Agenten oder Verlage auf ihn aufmerksam werden und ihm gute Vertragskonditionen gewähren. Durch das bestehende Urheberrecht fühlt er sich gut geschützt, und er hat ebenfalls den Eindruck, dass derzeit die Verwerterinteressen zu sehr im Vordergrund stehen. Er betreibt ein Podcast, auf dem er seinen Thriller stückweise als Hörbuch zugänglich gemacht hat, und berichtete, dass die Verkäufe seines Buches erst dann anzogen, als er seinem Verlag die Erlaubnis abgerungen hatte, auch die Auflösung im Podcast zu veröffentlichen. Damit bestätigte er Wattig, der zuvor schon vor der pauschalen Annahme gewarnt hatte, dass kostenlos verteilte oder raubkopierte Dateien das käufliche Produkt generell kannibalisieren würden.

Harald Müller, Jurist und Bibliotheksdirektor, stellte sich als "Krimineller" vor, da er den Bibliotheksnutzern die Anfertigung von Kopien ermögliche, was nach der derzeitigen Rechtslage oft schon eine Beihilfe zu Urheberrechtsverstößen darstelle. Auch er freut sich, dass ein Text von ihm (und zwar über das Urheberrecht) im Netz, nämlich bei Google Books, zu finden ist: Wenn man als Wissenschaftler "Müller" heiße, sei man für Publicity, über die der Name mit einem Thema verknüpft werde, doch dankbar. Relevante wirtschaftliche Schäden entstünden Wissenschaftlern durch so etwas nicht; sie würden ohnehin alimentiert; ihr Lohn sei Sichtbarkeit. Um andere Urheber, die nicht alimentiert werden, für die Nutzung ihrer Werke zu entschädigen und ihnen ein Einkommen zu sichern, plädiert er für eine Pauschallösung, analog zum Kopierpfennig, zur Rundfunkabgabe oder zu den Bibliothekstantiemen. Er werde mit zunehmendem Alter immer radikaler und sei für ein "Urheberrecht 2.0", also eine ganz grundlegende Reform. Realistischerweise müsse man aber mit einem "Reförmchen" rechnen – schon deshalb, weil der deutsche Gesetzgeber die Vorgaben aus Brüssel zu beachten habe. Die Wissenschaftsorganisationen würden in den kommenden Monaten zu erreichen versuchen, dass Berlin wenigstens diesen überschaubaren Spielraum im "dritten Korb" voll ausschöpfe. Wenn das nicht geschehe, werde sich wohl endgültig eine wissenschaftliche "Parallelwelt" herausbilden, in der Open Access eine immer größere Rolle spiele.


Cologne Commons, Harald Müller

Lebhafte, aber freundliche Kontroverse: Harald Müller, Stephan Benn

Stephan Benn vom Verband Unabhängiger Musikunternehmen (VUT), der zwar nicht "die Musikindustrie", aber doch die Werkmittler vertrat und ebenfalls Jurist ist, nahm die Rolle des Advocatus diaboli gerne an und widersprach seinen Panel-Kollegen mehrfach freundlich, aber bestimmt. Insbesondere mit Vergütungspauschalen kann er sich nicht anfreunden, da sie fast immer zu schweren Verteilungsungerechtigkeiten führten. Im Internet sei es zwar technisch erstmals möglich, Nutzungintensitäten systematisch zu erfassen, um diese für die Verteilung zu nutzen, aber dagegen würden die Datenschützer sich sperren. Für ihn steht der einzelne Kreative im Mittelpunkt des Urheberrechts, der oftmals mit der Wahrnehmung seiner Rechte und der Verbreitung seiner Werke überfordert sei und deshalb auch in Zukunft häufig Werkmittler einschalten werde. Diese Partner, beispielsweise Verlage oder Musiklabels, würden durch ihr erhebliches wirtschaftliches und organisatorisches Engagement ebenfalls schutzbedürftig. Vom dritten Korb erhofft er sich eine Korrektur der ungerechten kollektiven Vergütungen über die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten und eine Erleichterung der Rechtsdurchsetzung, beispielsweise nach dem Vorbild Englands oder Frankreichs. Ihn stört die in der Diskussion gelegentlich anklingende Gleichsetzung von Gesellschaft und Konsument, und er meint, Verbraucherschutz habe im Urheberrecht nichts verloren.

Evrim Sen ist Mitverfasser des Buches "No Copy – Die Welt der digitalen Raubkopie", das als E-Book unter einer CC-Lizenz erhältlich ist. Auch sein Verlag und er haben festgestellt, dass die Verkaufszahlen der gedruckten Fassung nicht etwa sanken, sondern stiegen, als er das PDF zum freien Download bereitstellte. Er argumentiert aus der Sicht der Konsumenten und fürchtet einen Innovationsstopp durch das Festhalten der alten Industrie an ihren überholten Geschäftsmodellen. Ein Urheberrecht, das einen solchen Innovationsstopp ermögliche, diene auf lange Sicht auch dieser Industrie nicht. Sen tippt ebenfalls auf ein "Reförmchen", was aber kein Drama sei: Da die technische Entwicklung nicht abgeschlossen sei, werde es immer wieder weitere Gesetzesanpassungen geben.

In den letzten Minuten der diesjährigen Cologne Commons konnten die Zuhörer noch einige interessante Beobachtungen und Kommentare einbringen. So merkte Ilja Braun an, dass in Diskussionen wie dieser häufig Nutzer-, Konsumenten- und gesellschaftliche Interessen gleichgesetzt würden. Solange man hier nicht genauer unterscheide, stünden die Chancen schlecht, neben Zugangsbeschränkungen (Paid Content) und der Monetarisierung von Nutzerdaten (zielgruppengenaue Werbung) weitere Geschäftsmodelle oder Ersatzwährungen für die digitale Welt zu entwickeln.

Wenngleich Podiumsdiskussionen wie diese fast zwangsläufig an der Oberfläche bleiben, fand ich den Nachmittag sehr gelungen. Interessant vor allem, wie die unterschiedlichen Interessengruppen angesichts ihrer Probleme und der anstehenden Gesetzesreform nach neuen Bündnispartnern Ausschau halten. Dass dieses Panel von einem Vertreter der Wissenschaft und einem Redakteur eines Portals mit einer gewissen Nähe zur Filesharer-Szene gemeinsam organisiert und moderiert wurde – wer hätte so etwas noch vor wenigen Jahren für möglich gehalten?